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Der aktuelle Ton in Europa – Interviews mit dem Bundestagsabgeordneten Dr. Kippels

13/08/2021

Einige politische Themen haben einen längeren Atem, als es sich manch ein Politiker wünschen würde: 2017 besuchte der Bundestagsabgeordnete Dr. Georg Kippels unsere damals achte Klasse, um Fragen von Schülern zu beantworten. Ein Großteil von uns war damals 13 oder 14 Jahre alt. Das war in dem Jahr, als Theresa May den Brexit einleitete. Es war das Jahr, in dem die AfD ihren Einzug in den Bundestag vollziehen würde. Außerdem war es das Jahr, in dem das politische Konstrukt Europa am wanken war, wie vielleicht nie zuvor.

Vier Jahre später: Kurz vor den Sommerferien besuchte Dr. Georg Kippels eine neunte Klasse, um erneut Schüler-Fragen zu beantworten. Zum Vergleich: Die meisten Schüler meiner ehemaligen Klasse sind mittlerweile volljährig und haben ihr Abitur abgeschlossen. Allerdings sind nicht nur meine ehemaligen Mitschüler kenntnisreicher und erprobter geworden, sondern auch Kippels. „Zunächst mal hat es eine Steigerung der Erfahrung gegeben," erzählt er mir später im Interview: „Netzwerken ist auch in der Politik ein wichtiges Betätigungsmerkmal. (…) Ich habe mich in der zweiten Wahlperiode im besonderen Maße der globalen Gesundheit gewidmet. (…)." Doch so sehr sich die Karriere von Kippels weiterentwickelt hat, die Themen Brexit und EU-Skepsis hafteten wie ein Kaugummi an seinen Fersen. Sie zogen sich in die Länge, obwohl man sie eigentlich gerne hinter sich lassen würde.

Der Lehrer Oliver Strucken-Bathke und ich interviewten den CDU-Politiker nach der Fragerunde in der Klasse 9.5. Ich habe die wichtigsten Erkenntnisse für euch zusammengefasst:

Die Zukunft Europas

„Erfüllt Sie das mit Sorge, was in Europa und der EU los ist, in diesem dauerhaften Krisenmodus?" fragt Herr Strucken-Bathke. Kippels nimmt einen tiefen Atemzug: „Ich würde es nicht als dauerhaften Krisenmodus bezeichnen, aber die Coronakrise hat natürlich gewisse Schwächen gezeigt." Obwohl die EU noch viel zu lernen habe, ist Kippels ein überzeugter Europäer. Konrad Adenauer und Helmut Kohl machten es ihm vor und verankerten die europäische Idee in der CDU und in Deutschland. Eine Idee, die Kippels nach wie vor für unumgänglich hält. Nur geeint könne Europa als weltpolitische Größe auftreten. 27 Länder zu verbünden, die wirtschaftlich, historisch und kulturell sehr divers sind, ist allerdings leichter gesagt als getan. Eine europäische Armee, wie Macron sie sich vorstellt, kann er sich beispielsweise nicht denken, weil Frankreich historisch bedingt ein ganz anderes Selbstverständnis im Umgang mit dem Militär hat als Deutschland. Auch eine Vergemeinschaftung der europäischen Schulden sieht er kritisch. Sie könnte insbesondere unter den Bürgern von zahlungsstarken EU-Ländern für Aufruhr sorgen.

Was es laut Kippels stattdessen braucht, ist ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, welches jedoch auch entschlussfähig und außenwirksam ist. Kippels schlägt nämlich auch vor, häufiger von der Einstimmigkeitsregelung in der Europäischen Union abzusehen.

Darüber hinaus gibt es eine Entwarnung für alle Erasmus-Schüler: Kippels glaubt fest daran, dass solche europäischen Programme, trotz der wirtschaftlichen Einschnitte durch Corona, weiter gefördert werden. Schließlich verkörpere dieses Programm die europäische Mobilität und den kulturellen Austausch.

Europa als diplomatische Kraft

Ich frage Georg Kippels im Bezug auf den Handelskonflikt zwischen den USA und China: „Könnte Europa nicht Verantwortung übernehmen, auf die globale Bühne treten und sagen: ´Wir sind die Verhandlungsstation, über die die USA und China wieder zueinander finden?´" „Ja könnte man, sollte man vielleicht auch," entgegnet Kippels: „Allerdings sehe ich die charismatischen Möglichkeiten einer Angela Merkel oder eines Macron auf einer anderen Ebene, als die von Frau von der Leyen." Er ist der Meinung, dass die Entscheidungsprozesse der EU oftmals zu unvorhersehbaren Ergebnissen führen und ihre Handelsweise unmittelbarer werden sollte. Ein nationaler Politiker oder eine nationale Politikerin könne Interessen konkreter pointieren, als jemand, der 27 Staaten vertreten soll.

Ich stelle Kippels die Nachfrage, wofür man denn Europa bräuchte, wenn dieses politische Konstrukt in Krisensituationen nicht handlungsfähig ist. Kippels vermerkt, dass die EU ein Bindeglied für viele europäische Länder sein soll, die in eine Richtung denken, politisch handeln und sich auch außenwirksam positionieren. Er gibt jedoch auch zu, dass die EU diese Rolle noch nicht ideal erfüllen würde.

Brexit

Kippels ist der Meinung, der Brexitübergang wäre schlecht moderiert worden und mit ihm ginge viel „zerbrochenes Porzellan" einher. Großbritanniens aktuelle diplomatische Handlungen würden am ehesten einem „dauerhaften Krisenmanagement“ ähneln. Viele Entscheidungen der Briten würden eher provisorisch statt handfest wirken. Strucken-Bathke möchte wissen, wie der Inselstaat überhaupt in diese Position stolpern konnte. „Großbritannien hat sich irgendwie festgefahren, auch in seiner wirtschaftlichen Entwicklung." Er vergleicht Großbritannien mit einem reinen Dienstleistungs- und Bankenstaat, der seine Regierungsfähigkeit verlor und stark unter der Regierungskrise 2008 litt. Der Unmut der Bürger, der laut Kippels auch durch Populismus und Falschinformationen entstand, löste bekanntlich den Austritt Großbritanniens aus der EU aus.

AfD und der Ton in der Politik

„Jetzt arbeiten Sie schon vier Jahre gemeinsam mit der AfD in einem Parlament. Macht es Spaß oder ist es schwierig?" frage ich. Die trockene Antwort: „Also, Spaß macht es überhaupt nicht. Von Zusammenarbeiten kann da auch nicht die Rede sein. Die sind zufälligerweise im selben Raum." Er bezeichnet die AfD als „Fundamentalopposition", deren politische Herangehensweise auf einer grundkritischen Haltung gegenüber anderen Parteien basiert und nicht auf inhaltlichen Werten. Kippels wirft der AfD vor, wissenschaftliche Fakten zu leugnen oder sogar ins Gegenteil zu verzerren. Ein weiterer Kritikpunkt Kippels gegenüber der AfD betrifft einen überraschend persönlichen Aspekt, nämlich den Umgangston in der Politik. Besonders in öffentlichen und planerischen Debatten würde die AfD häufig einen aggressiven und unkonstruktiven Umgangston anschlagen. Dies macht nicht nur Kippels „keinen Spaß", sondern hätte auch weitreichende gesellschaftlichen Folgen. Seiner Meinung hat die AfD Beispielwirkung, man könnte sagen eine „Vorbildfunktion" für viele Bürger. Hass gegen bestimmte Politiker bemerke er vor allem im Internet: „Wenn man es freundlich bewerten würde, könnte man sagen, es ist eine gesteigerte Gedankenlosigkeit, aber ich glaube, es reicht nicht für die Beschreibung der Situation." Das Thema betrifft allerdings nicht nur Deutschland. Kippels sprach im Interview seine Erleichterung über die Wahl Bidens aus. Dieser würde sich zwar ähnlich patriotisch und selbstbewusst darstellen wie Trump, hätte allerdings einen viel moderateren und kompromissbereiten Ton, der vor allen in wichtigen diplomatischen Verhandlungen gefordert wäre. Mit seinem Besuch am Europagymnasium wolle er zu einer gesunden Debattenkultur beitragen, die in seinen Augen eine hohe kulturelle Bedeutung besitzt.

Fußball

Auf das EM-Spiel Deutschland gegen England tippte Kippels 3:0 für Deutschland, weil er an die fußballerischen Fähigkeiten von Thomas Müller glaubt. Schön wäre es gewesen …

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