Klänge des Lebens
19/06/2024
„Alle, die hier lebend rauskommen, treffen sich in Köln“, so schwor Karl-Josef Reinhardt die Familien ein, als sie im Mai 1940 zunächst in den Gefängniskeller der Gestapozentrale gesteckt und wenige Tage später vom Sammellager an der Kölner Messe nach Auschwitz transportiert wurden. Sechs seiner zwölf Kinder wurden vergast. Nach der Befreiung des Konzentrationslagers trat die dezimierte Familie den Heimweg an – zu Fuß, sechs Monate Fußmarsch über 1100 Kilometer, über Warschau und Berlin nach Köln.
Sein Enkel Markus Reinhardt berichtet die Geschichte seiner Familie im Rahmen der Projektwoche „Klänge des Lebens“ am Europagymnasium Kerpen. Schüler:innen hatten ihn eingeladen, um diesen dunklen Abschnitt der deutschen Geschichte besser kennenzulernen. „Bei uns machen alle Musik“, erzählt Markus Reinhardt. Und die Musik war es, die dem Opa das Leben rettete. „Die Nazis brauchten ihn als Musiker. Er musste auf den Bahngleisen aufspielen, wenn die Züge mit den Deportierten ankamen. Marschmusik. Tanzmusik. Walzer von Johann Strauß. Die Deportierten sollten runterkommen, sollten aufatmen.“ Nach dem Motto: Wo Musik ist, geschieht nichts Böses.
Mitgebracht hatten Markus Reinhardt und seine Frau, die Künstlerin Krystiane Vajda, den historischen „Zigeunerwagen“, in einem solchen hatten die Familien vor ihrer Deportation auf dem Bickendorfer Schwarz-Weiß-Platz gelebt. Die Installationen im Wagen präsentieren multimedial die Lebensgeschichten, die Verfolgungsgeschehnisse und den Ausrottungswahn so genannten lebensunwerten Lebens. Der Wagen und die Installationen waren während der Projektwoche auch für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich.
Bluma Meinhardt, Tochter eines Auschwitzüberlebenden berichtete in verschiedenen Klassen über die Ausgrenzung und Entrechtung, die ihre Familie ertragen musste, und über deren Ermordung.
Am 06.06. präsentierten zunächst Schüler:innen im Rahmen eines festlichen Konzertabends Ergebnisse der Workshops. Ein feuriger Flamenco der Klasse 5.1 unter Leitung von Mareike Adam eröffnete die Darbietungen. Ein Wiegenlied, das die Kinder im Konzentrationslager auf dem Weg in den Tod begleitete, ließ bei den Zuhörenden in der Aula manche Träne fließen. Es wurde dargeboten vom Popchor des Europagymnasiums unter Leitung von Judith Schroetter-Scheufens.
Mit einem Csárdás von Vittori Monti stellte sich Conrad Schorn als neuer Referendar dem Publikum vor. Den Abschluss des ersten Konzertteils gestaltete die Bigband unter der Leitung von Bodo Gellrich. Auf die Moonlight Serenade von Glen Miller folgte ein mitreißendes Medley des King of Pop.
Im zweiten Teil des Abends berichtete der Zeitzeuge Christian Pfeil im Rahmen eines Interviews von der Verfolgungsgeschichte seiner Familie, die von Trier aus deportiert worden war. Im Winter 1944 im Ghetto Lublin geboren, überlebte Pfeil nicht nur Folter und extremen Hunger, sondern auch in den frühen 90er Jahren einen rassistischen Anschlag auf seine Person und sein Geschäft. Pfeil hat im Januar 2024 in seiner Rede vor den Vereinten Nationen seiner Sorge vor zunehmendem Nationalismus und Rechtsextremismus Ausdruck verliehen und rief auch im Europagymnasium Schüler:innen, Lehrkräfte und Gäste auf, sich der Verantwortung und der Verpflichtung für die Weltgemeinschaft bewusst zu sein.
Zum Abschluss des Konzertabends rissen Markus Reinhardt und sein Ensemble die Zuschauer von den Sitzen mit bekannten Melodien wie dem Minor Swing seines Großonkels Django Reinhardt oder der Hildegard Knef Hommage „In dieser Stadt“.
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